Mit Bioökonomie in eine nachhaltige Zukunft? – Erklärungen, Möglichkeiten und Herausforderungen

Victoria Hasenkamp

Fragt man eine beliebige Anzahl an Menschen in einer Einkaufsstraße oder auch nur im persönlichen Freundeskreis nach den Themen Bioökonomie und Biotechnologie, wird wohl die Mehrzahl der Befragten Fragezeichen über dem Kopf haben und vielleicht mit einem „Kenn ich nicht“ oder einem etwas ausweichenden „Was ist das denn? Klingt aber interessant!“ antworten. Der Wortbestandteil „bio“ würde wahrscheinlich noch von manchen als etwas grundsätzlich Positives verortet – dem verstärkten Auftauchen von Biolebensmitteln als „bessere“ Alternative zu konventionell produzierten sei Dank. Einige Personen erinnern sich vielleicht sogar noch an den Biologieunterricht in der Schule und daran, dass „bio“ meistens irgendwas mit Lebewesen und dem Leben auf der Erde zu tun hat.

Es ist an der Zeit aufzuklären! Was sind Bioökonomie und Biotechnologie?

Die Bioökonomie ist nicht nur „irgendwas mit bio“, sondern vor allem deswegen aktuell politisch und wissenschaftlich hochrelevant, da sie als ein innovatives Wirtschaftskonzept zu mehr Nachhaltigkeit beitragen kann, jedoch nicht zwingend muss. Von Fachleuten des deutschen Bioökonomierats wird Bioökonomie definiert „als die Erzeugung und Nutzung biologischer Ressourcen, um Produkte, Verfahren und Dienstleistungen in allen wirtschaftlichen Sektoren im Rahmen eines zukunftsfähigen Wirtschaftssystems bereitzustellen“ (Biooekonomierat.de 2020). Das heißt, hinter dem Wort „Bioökonomie“ steckt die Vision einer Wirtschaft, die nicht mehr ausschließlich auf Erdöl angewiesen ist, sondern die wo möglich auf nachwachsenden, recycelbaren Rohstoffen basiert und somit einen sich selbst erneuernden Kreislauf bildet, der es ermöglicht, den Ausstoß von klimaschädlichem Kohlendioxid (CO2) zu reduzieren. Eine Änderung und ein Umdenken in unserem Wirtschaftssystem sind deshalb so wichtig, da Erdöl bekanntermaßen eine endliche, sowie umstrittene, da potentiell umweltschädliche, Ressource darstellt, die in ein paar Jahren aufgebraucht sein wird. Deshalb wird es höchste Zeit, sich nach Alternativen umzusehen, die idealerweise neben funktionell auch nachhaltig, effizient und umweltfreundlich sind. Um diese Ziele zu erreichen bietet die Bioökonomie einen vielversprechenden Ansatz. Allerdings gibt es neben den erwähnten Vorteilen auch Kritikpunkte, Konflikte und Risiken an der Bioökonomie, auf die in diesem Text noch näher eingegangen wird. Als kurzes Beispiel sei hier die sogenannte „Tank-Teller-Debatte“ erwähnt. Diese kritisiert den Anbau von Nutzpflanzen zum alleinigen Zweck der Energieerzeugung, z.B. zur Produktion von Biosprit. So kommt es hierbei zu einem Konkurrenzkampf um die benötigten Anbauflächen, auf denen genauso gut auch Nahrungsmittel angebaut werden könnten.

Fachleute sind sich einig, dass der Schlüssel zur erfolgreichen Umsetzung der Bioökonomie nur mit Hilfe innovativer Produkte und Verfahren gelingen kann, die aus Forschung und Entwicklung hervorgehen. Ein hierfür bedeutsames Wissenschaftsfeld ist die sogenannte Biotechnologie. Grundsätzlich ist Biotechnologie „die Anwendung von Wissenschaft und Technologie auf lebende Organismen sowie Teile, Produkte und Modelle hiervon, um lebende oder nicht-lebende Materialien für die Produktion von Wissen, Waren und Dienstleistungen zu verändern“ (OECD 2018: 156). Mit anderen Worten: Die Biotechnologie stellt die Werkzeuge zur Verfügung, die zu einer Bioökonomie und einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft führen. Wenn zum Beispiel Bakterien dazu genutzt werden, Abwasser zu filtern und zu säubern, ist das Biotechnologie. Der biotechnologische Prozess der Abwassersäuberung durch Mikroorganismen trägt dann zur Bioökonomie als nachhaltige, sich selbst erneuernde Wirtschaftsweise bei.

Aufgrund ihrer Vielfalt von Forschungs- und Entwicklungsschwerpunkten wird die Biotechnologie in verschiedene Sparten eingeteilt, worüber bereits in einem früheren Blogartikel berichtet wurde (BIOCIVIS Blogartikel 1). Aufgrund der Komplexität des Wissenschaftsfeldes überschneiden sich die Sparten zum Teil jedoch und die Einteilung ist nicht immer eindeutig.

Eine bekannte Sparte ist z.B. die weiße, oder auch industrielle, Biotechnologie, die sich auf die technische Nutzung von Mikroorganismen, wie beispielsweise einzellige Algen, Pilzen und Bakterien und deren Bestandteile wie Enzyme bezieht und bereits in einem früheren Blogartikel thematisiert wurde (BIOCIVIS Blogartikel 2).

Grüne Biotechnologie fokussiert sich dagegen vor allem auf die technische Nutzung von Pflanzen und hier insbesondere auf den Landwirtschaftssektor. Hierzu zählt beispielsweise die Verbesserung von Nutzpflanzen, die neben klassischen Züchtungsmethoden (z.B. Kreuzung) ebenfalls den Einsatz moderner Techniken wie „smart breeding oder aber auch grüne Gentechnik einschließen kann.

Im medizinischen Bereich, der sogenannten roten Biotechnologie, liegen Schwerpunkte auf der Arzneimittelforschung und der Erzeugung von sogenannten Biopharmazeutika (Biopharmazeutika).

Chancen der Bioökonomie

Die Potenziale der Bioökonomie im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit sind breit gefächert. Der Übergang zu einer postfossilen, CO2-neutralen Zukunft (BMBF/BMEL 2020; EC 2018; Gawel et al. 2019), umweltfreundlichere/ schadstoffärmere Produktionsprozesse (BMBF/BMEL 2020; EC 2018; Liobiekiene et al. 2019; Schiller et al. 2016), Ernährungssicherung und -qualität (Albrecht et al. 2012; BMBF/BMEL 2020, Liobikiene et al. 2019; Staffas et al. 2013), ein ressourcenschonender Umgang mit Energie (BMBF/BMEL 2020; Gawel et al. 2019; Liobikiene et al. 2019; Mukhtarov et al. 2017), sowie allgemein der Schutz von Ökosystemen, u.a. durch Befreiung der Meere von Plastik (EC 2018) zählen zu den Hoffnungen, die aus verschiedenen Gründen in die Bioökonomie gesetzt werden. Zentral dabei ist der Rückgriff auf erneuerbare Biomasse als Ausgangsprodukt und deren Kreislauffähigkeit, d.h. die Fähigkeit eines Produktes durch Recycling oder biologischen Abbau immer wieder neu verwertet werden zu können und so in einem sich selbst erneuerndem Kreislaufsystem zu bleiben (EC 20018; Liobikiene et al. 2109; Schiller et al. 2016).

Potenziale der Bioökonomie im Zusammenhang mit der Kreislaufwirtschaft bestehen insbesondere in der Ermöglichung bzw. Optimierung der Nutzung von Produktrückständen und Abfällen. Idealerweise findet hierbei eine (Wieder-)Verwertung in kreislaufartigen Wertschöpfungsketten statt. Die Vorteile einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft sind hierbei die mehrfache Nutzung und optimale Verwertung von Materialien sowie die Minimierung von Abfall (BMBF/BMEL 2020; EC 2018; Schiller et al. 2016). Visionäre Beispiele für solche wiederverwertbaren Produkte sind Handtaschen aus Apfelresten oder Sneaker aus Reishüllen. Weitere Einblicke in die naturwissenschaftlichen Grundlagen der Bioökonomie liefert ebenfalls ein früherer Artikel des Blogs (BIOCIVIS Blogartikel 3).

Der Nachhaltigkeitsbegriff im Kontext der Bioökonomie bringt auch Herausforderungen mit sich. So führen unzureichende Definitionen von Nachhaltigkeit häufig zu kontroversen Verständnissen von Nachhaltigkeit (Gawel et al. 2019; Liobikiene et al. 2019; Vogt 2017). Auch bleiben bei „lückenhaften“ Nachhaltigkeitsverständnissen häufig Fragen, z.B. nach Suffizienz, also dem möglichst geringen Ressourcen- und Energieverbrauch im Konsumverhalten oder der Produktion von Gütern, offen (Albrecht et al. 2012; Heinemann 2019; Vogt 2017). Dieser Begriff ist jedoch im Zusammenhang mit Bioökonomie zentral, sollte also im Nachhaltigkeitsverständnis enthalten sein. Eine weitere Problemstellung liegt in der Evaluation von Nachhaltigkeit, da es bezüglich der Messbarkeit, etwa bei der Frage nach Grenzen von Wertschöpfungsketten keine festgelegten Kriterienkataloge gibt (Liobikiene et al. 2019; Schiller et al. 2016).

Auch mit Blick auf die Bioökonomiestrategien, die inzwischen zur Förderung der Wirtschaftsform von vielen Regierungen formuliert wurden (s. z.B. Nationale Bioökonomie Strategie (BMEL 2020, Bayerische Staatregierung 2020), gibt es Kritikpunkte, die in der Diskussion um die Nachhaltigkeit der Bioökonomie berücksichtigt werden sollten. Als problematisch stellt sich vor allem die Priorisierung der vielen Ziele dar, die Bioökonomiestrategien verfolgen. Auch der Umgang mit Zielkonflikten, z.B. die bereits erwähnte Tank-Teller-Debatte oder sozial-ethische Aspekte bei der Anwendung von Gentechnik, wird häufig nicht thematisiert. Vielmehr erfolgt eine Fokussierung auf wirtschaftliche Ziele und die grundsätzliche Annahme der Vereinbarkeit von Wirtschaftswachstum und Nachhaltigkeit (bspw. durch Bioökonomie), was jedoch nicht natürlicherweise der Fall ist (Gawel et al. 2019; Vogt 2017). Ein weiter Diskussionspunkt liegt auf der Fokussierung auf Technologie und einer mangelnden Anerkennung der Ambivalenz von Technik (Gawel et al. 2019; Heinemann 2019; Paula/Birrer 2006). Dieser Aspekt konzentriert sich auf das Problem, dass neue, innovativen Formen von Technik nicht zwangsläufig nur positiv oder nur negativ gesehen werden, sondern dass idealerweise eine ausgleichende Abwägung von Pro- und Kontrapunkten und darauf basierend eine entsprechende Bewertung erfolgt. In der Realität ist das jedoch häufig nicht der Fall.

Bioökonomie – von der Nische auf die große Bühne!?

Das Thema Bioökonomie findet langsam seinen Weg in die öffentliche Debatte. Jedoch wird in Diskussionen häufig nur das sogenannte „golden triangle“ aus Regierungen, Wissenschaft und Forschung sowie Wirtschaft und Industrie berücksichtigt, denen nachgesagt wird, Entscheidungen rund um die Bioökonomie unter sich zu fällen ohne andere Akteure in der Debatte oder Entscheidungsfindung zu berücksichtigen. Es stellt sich die Frage nach einer Beteiligung der Zivilgesellschaft in einem angemessenen Rahmen (Gawel et al. 2019; Mukhtarov et al. 2017; Paula/Birrer 2006; Vogt 2017). Hinsichtlich der Beteiligung werden zwar Veränderungen angekündigt, jedoch in dem eher allgemeinen Sinn, das „die Gesellschaft mehr eingebunden werden soll“ (s. bspw. BMBF/BMEL 2020), jedoch stellt sich die Frage nach dem „Wie“, sprich auf welche Art und Weise soll die Bevölkerung beteiligt werden, da die Einbeziehung der Zivilgesellschaft viele Gesichter haben kann. Beispiele sind hier Bildungs- und Informationsmaßnahmen, demokratische Beteiligung oder Dialogveranstaltungen.

Abschließend bleibt festzuhalten: „bioeconomy concepts are not already sustainable by default“ (Heinemann 2019: 44). Anders ausgedrückt kann Bioökonomie nachhaltig sein und Nachhaltigkeit fördern, sie tut es aber nicht zwangsläufig. Bis dieses Ziel erreicht ist, gibt es noch viele Herausforderungen zu bewältigen, die in diesem Artikel neben den Potenzialen der Bioökonomie dargestellt wurden. Es bleiben Fragen, die beantwortet werden müssen:

  • Wie wird Bioökonomie praktisch umgesetzt?
  • Welchen Ziele rücken in den Fokus, welche in den Hintergrund?
  • Wer nimmt (wie) Einfluss? Wer bleibt außen vor?

Zur Autorin:

Die Autorin dieses Beitrags, Victoria Hasenkamp, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Interdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung (ZIN) und am Lehrstuhl für Internationale Beziehungen & Nachhaltige Entwicklung am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Münster. Der Beitrag ist der vierte in einer Reihe von Artikeln (s. 1. Beitrag2. Beitrag, 3. Beitrag), die im Rahmen des Projektes BIOCIVIS verfasst werden. Das Projekt wird unter der Leitung von Prof’in Doris Fuchs (Politikwissenschaft) und Prof. Bodo Philipp (Molekulare Mikrobiologie und Biotechnologie) an der Universität Münster durchgeführt. Es kreist um die Frage, wie Beteiligung zu Bioökonomie-Themen so gestaltet werden kann, dass ein gleichberechtigter Dialog zwischen BürgerInnen und anderen AkteurInnen gelingt. Die Verantwortung für den Inhalt dieses Artikels liegt bei der Autorin.

Weiterführende Informationen und Tipps

  • Link zu den „Zwölf Beiträge[n] für eine nachhaltige Bioökonomie“ von VertreterInnen deutscher Umwelt- und Entwicklungsverbände im Rahmen des „Aktionsforums Bioökonomie“, die eher dem kritischen Spektrum zuzuordnen sind: https://denkhausbremen.de/zwoelf-beitraege-fuer-eine-nachhaltige-biooekonomie/
  • Website des Wissenschaftsjahres Bioökonomie, einer Initiative des BMBF, um das Thema Bioökonomie im Sinne einer ausgeglichenen Berichterstattung mehr in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken: https://www.wissenschaftsjahr.de/2020/
  • Infos zur MS Wissenschaft (Ausstellungsschiff des BMBF – die aktuelle Ausstellung ist dem Thema Bioökonomie gewidmet. Gerade „pausiert“ das Schiff aufgrund von Corona, sobald es wieder schwimmt, finden Sie hier Informationen zur Route): https://ms-wissenschaft.de/
  • Auch die Ausstellung im „InnoTruck“ des BMBF ist aktuell dem Thema Bioökonomie gewidmet, der allerdings ebenfalls gerade wegen Corona pausiert. Aktuelle Neuigkeiten dazu finden Sie hier: https://www.innotruck.de/servicenavigation/presse/aktuelle-meldungen/

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