Auf dem Weg zur [Bio]Ökonomie: Von der Biologie lernen?

Bodo Philipp

Die Bioökonomie wird als wichtiger Baustein für eine Transformation der Gesellschaft hin zu einer nachhaltigeren Lebensweise gesehen. Davon zeugen nationale und internationale Bioökonomie-Strategien, der Bioökonomierat mit beratender Funktion für die Bundesregierung sowie die Auswahl der Bioökonomie als Leitthema für die Wissenschaftsjahre 2020 und 2021. Dennoch bleibt der Begriff „Bioökonomie“ an sich für viele Teile der Gesellschaft nach wie vor diffus. Während die Vorsilbe „Bio“ in anderen Bereichen bereits eine positive Konnotation hat, z.B. bei Lebensmitteln, Materialien (Biobaumwolle, Bioplastik), ist dies bei der Ökonomie noch nicht der Fall.

Eine häufige Erklärung dessen, was Bioökonomie ist,  beinhaltet, „dass wir unsere heutige erdölbasierte Wirtschaftsform wandeln – hin zu einer nachhaltigen Nutzung nachwachsender Rohstoffe“ (BMBF-Definition). Ist diese Erklärung ausreichend, um die Bioökonomie als eindeutig nachhaltig zu definieren? Tatsächlich haben einige gesellschaftliche AkteurInnen, denen bioökonomische Themen durchaus geläufig sind, Vorbehalte gegenüber der Bioökonomie. Häufige Kritikpunkte aus der Wirtschaft sind die hohen Kosten und die derzeit geringe Konkurrenzfähigkeit zu erdölbasierten Technologien. Von Umweltschutzverbänden wird oft kritisiert, dass für die Gewinnung von Biokraftstoffen der Regenwald abgeholzt wird, um Monokulturen von Ölpalmen anzulegen. Generell wird in der sogenannten Tank-Teller-Diskussion beklagt, dass Lebensmittel nicht für die Ernährung von Menschen genutzt, sondern stattdessen buchstäblich „verheizt“ werden. Zudem ist biobasiertes Plastik oft nicht biologisch abbaubar, und daraus gefertigte Biomülltüten sind daher verboten.

Diese Kritikpunkte an der fehlenden Nachhaltigkeit der Bioökonomie sind berechtigt. Wieso wird dennoch in der Bioökonomie ein Schlüssel für eine nachhaltige, umweltschonende Wirtschaftsweise gesehen, die entscheidend zu einer CO2-neutralen Ökonomie beitragen kann?  Wenn die Bioökonomie ihren bestmöglichen Beitrag zu einem nachhaltigen Wandel leisten soll, sind viele verschiedene Perspektiven gefragt: Zum einen müssen unterschiedliche wissenschaftliche Disziplinen zusammenarbeiten – ein Dialog von Naturwissenschaften mit den Sozial- und Geisteswissenschaften ist dabei essentiell. Gleichzeitig müssen aber auch zivilgesellschaftliche Perspektiven zwingend miteinbezogen werden. Dieser Beitrag fokussiert auf die naturwissenschaftliche Perspektive und soll aufzeigen, wie die Biologie auf ganz unterschiedliche Weise dazu beitragen kann.

Auf dem Weg zur CO2-Neutralität

Biologische Systeme sind von einer lang bestehenden Stabilität geprägt. Ein wichtiges Merkmal sind geschlossene Stoffkreisläufe, das hier am Beispiel des Kohlenstoffkreislaufs erläutert werden soll: Ganz am Anfang des Kohlenstoffkreislaufs steht der Umbau von anorganischem Kohlenstoff in organischen Kohlenstoff; konkret wird dazu CO2 aus der Atmosphäre in Lebewesen aufgenommen, die daraus organische Moleküle wie Zucker, Proteine, Fette und Vitamine aufbauen. Die Fixierung von CO2 und der Umbau in Biomasse wird auch als Primärproduktion bezeichnet. Grüne Pflanzen, Mikroalgen im Meer aber auch viele Bakterien sind dazu in der Lage. Die Energie für die Primärproduktion kommt dabei zum größten Teil aus dem Sonnenlicht, man spricht von der Photosynthese. Tiere und Menschen, aber auch Pilze sowie die meisten Bakterien betreiben keine Photosynthese. Woher bekommen diese Lebewesen – also auch wir – unsere Energie? Dazu gibt es wiederum biochemische Reaktionen, die die durch Primärproduktion gebildete Biomasse letztlich wieder zu CO2 abbauen. Diesen Prozess nennt man Mineralisierung. Praktisch alles, was durch Primärproduktion entstanden ist, kann in der Natur durch Mineralisierung wieder vollständig abgebaut werden.

Primärproduktion und Mineralisierung sind eng verknüpft und laufen koordiniert ab. In einem stabilen Ökosystem liegen CO2-Fixierung und Freisetzung weitgehend in einem Gleichgewicht, so dass von einem CO2-neutralen Prozess ausgegangen werden kann.  CO2-Neutralität ist nun genau das, was für eine nachhaltige Wirtschaftsweise angestrebt wird, und in der Natur funktioniert das im Rahmen des Kohlenstoffkreislaufs seit mehr als einer Milliarden Jahre!

Den biologischen Kohlenstoffkreislauf nachahmen

Wie können wir das Wissen um den Kohlenstoffkreislauf nun für die Bioökonomie nutzen? Dazu sollte ein bioökonomischer Prozess nur auf Bausteine zugreifen, die durch Primärproduktion, also durch die Fixierung von CO2, entstehen können; gleichzeitig darf die durch Nutzung dieser Rohstoffe nicht mehr CO2 freisetzen werden, als zu ihrer Herstellung benötigt wurde. Aktuell passiert genau dieses nicht: Unsere Rohstoffe sind meistens fossilen Ursprungs, und ihre Nutzung führt zu einer Anreicherung der Atmosphäre mit CO2 und einer zunehmenden Anhäufung von nicht-abbaubaren Materialien in der Umwelt. Warum ist das so?  Die Herstellung unserer Produkte benötigt Energie, die derzeit noch mehrheitlich aus der Verbrennung von fossilen Rohstoffen stammt. Bei dieser Verbrennung wird CO2 freigesetzt; zusammen mit der Nutzung fossiler Rohstoffe für Haushalte und Verkehr setzen wir mehr CO2 in die Atmosphäre frei, als durch die Primärproduktion abgepuffert wird. CO2 reichert sich somit in der Atmosphäre an und wirkt dort als Treibhausgas, so dass es zur Erderwärmung und somit zum Klimawandel beiträgt. Während die CO2-Freisetzung bei der Energieversorgung vor allem durch Wind-, Wasser- und Sonnenenergie gesenkt werden kann, ist das bei der Herstellung von Alltagsprodukten, die z.B. aus Plastik bestehen, schwieriger.

Es muss also eine Umstellung bei der Herstellung solcher Produkte erfolgen. Diese Produkte bzw. ihre Ausgangsmaterialien müssen durch biologische Primärproduktion entstanden sein. Gleichzeitig sollten diese Produkte auch dem biologischen Abbau, also der Mineralisierung zugänglich sein. Das hat drei Effekte: Erstens verhindert man dadurch, dass diese Produkte sich, nachdem sie nicht mehr gebraucht werden, in der Umwelt ansammeln und schädliche Langzeitfolgen haben können, was wir für viele industrielle Chemikalien und für Plastik derzeit beobachten. Zweitens können biologisch abbaubare Produkte zur Herstellung von Biogas und weiteren Biokraftstoffen genutzt werden, mit dem ein Teil unserer Energieversorgung bestritten und somit auch der Tank-Teller-Problematik entgegengewirkt werden kann. Drittens wird schließlich durch die Mineralisierung wieder CO2 für die Primärproduktion zur Verfügung gestellt. Somit wäre – analog zum biologischen – auch der industrielle Kohlenstoffkreislauf geschlossen.

Auch andere natürliche Stoffkreisläufe, z.B. der Stickstoffkreislauf, können nach diesem Prinzip industriell nachgeahmt werden. Für diese Transformation unserer aktuellen Produktionsweise hin zu einer Kreislaufwirtschaft nach Vorbild des Kohlenstoffkreislaufs ist eine effiziente Verquickung von Grundlagen- mit angewandter Forschung zu leisten. Dies ist ein zentraler Aspekt der naturwissenschaftlichen Forschung in der Bioökonomie, der vor allem von der Biotechnologie geleistet werden muss. Ein wichtiger Baustein ist das Design biobasierter chemischer Produkte, die vollständig biologisch abbaubar sind. Selbstverständlich müssen dabei auch viele andere Disziplinen einbezogen werden, nicht zuletzt die Landwirtschaft. Auch diese muss sich an den natürlichen Kreisläufen ausrichten, um ökologisch nachhaltig zu sein.

Biologische Regelkreise als Inspiration für die Ökonomie?

Über den Aspekt der stofflichen Kreisläufe hinaus kann sich die Ökonomie auch andere Erfolgsrezepte von biologischen Systemen abschauen. In jedem Lebewesen, in jeder Zelle laufen biologische hochkomplexe Prozesse, die zum Aufbau und Abbau von Stoffen führen, nebeneinander ab. Dieses Nebeneinander von Aufbau- und Abbaureaktionen wird als Stoffwechsel oder auch Metabolismus bezeichnet. Die biologische Forschung untersucht den Metabolismus mit modernen Methoden, z.B. der Biochemie und der Molekulargenetik. Die Forschungen zeigen, dass die einzelnen Schritte des Metabolismus eng miteinander verknüpft sind und in allen Lebewesen gut koordiniert ablaufen müssen, damit keine Energie und keine Nahrung verschwendet werden. Jede Zelle betreibt also eine ausgeklügelte Logistik und ein hocheffizientes Management von Stoffströmen.

Diese „zelluläre Ökonomie“ ist bei weitem noch nicht vollständig entschlüsselt, aber es sind bereits jetzt faszinierende Mechanismen erkannt worden, mit denen sich hochkomplexe Systeme, wie sie schon Bakterienzellen darstellen, stabil und krisensicher auf wechselnde Bedingungen und Lebenssituationen reagieren können. Letztlich sind es diese zellulären Mechanismen, die dann in der Folge Stoffkreisläufe und somit ganze Ökosysteme aufrechterhalten. Von solchen biologischen Prinzipien zu lernen, könnte ein innovativer Beitrag zur nachhaltigen sozio-ökonomischen und politikwissenschaftlichen Forschung sein und den Begriff Bioökonomie erweitern.

Fazit

Von der Biologie kann die Bioökonomie zentrale Ideen für die Etablierung CO2-neutraler Prozesse abschauen und Inspirationen erfahren, um unsere Wirtschaftsweise nachhaltiger zu regulieren. An der WWU bietet das ZIN mit seiner interdisziplinären Besetzung und der konzeptionellen Offenheit seiner Mitglieder das Potenzial, solche Forschung zu betreiben und die Bio-Ökonomie zu einem Begriff auszuarbeiten, der sich nachhaltig in der Gesellschaft etablieren kann, wenn man BürgerInnen demokratisch einbezieht.

Zu dem Autor: Bodo Philipp ist Professor für Molekulare Mikrobiologie und Biotechnologie an der Universität Münster (WWU). Der Beitrag ist der dritte in einer Reihe von Artikeln (s. 1. Beitrag, 2. Beitrag), die im Rahmen des Projektes BIOCIVIS verfasst werden. Das Projekt wird unter der Leitung von Prof’in Doris Fuchs (Politikwissenschaft) und Prof. Bodo Philipp an der WWU durchgeführt. Es kreist um die Frage, wie Beteiligung zu Bioökonomie-Themen so gestaltet werden kann, dass ein gleichberechtigter Dialog zwischen BürgerInnen und anderen AkteurInnen gelingt. Das Projekt BIOCIVIS wird mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung unter dem Förderkennzeichen 031B0780 gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt dieses Artikels liegt beim Autor.

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