Zu den Herausforderungen islamischer Umweltethik

Asmaa Maaroufi

Green Islam, Öko-Jihad, Öko-Islam: Seit nun mehr als vier Jahrzehnten lassen sich insbesondere im angloamerikanischen aber auch im europäischen Raum muslimische Umweltbewegungen und -organisationen finden, die sich aus einem muslimischen Selbstverständnis heraus und im Rückgriff auf große Textbestände Islamischer Geistesgeschichte begründen [1]. Problemlos ließen sich aus den Unmengen dieser Texte nicht nur ‚Motivationsmomente‘ für Muslim*innen schaffen, um sich (auch) aus einem muslimischen Selbstverständnis für den Umweltschutz einzusetzen (bspw. achtsamer Umgang mit natürlichen Ressourcen). Auch könnten diese zahlreichen Traditionen islamischer Geistesgeschichte muslimischen Theolog*innen dabei behilflich sein, systematische Umwelttheorien zu begründen oder zumindest Ankerpunkte für solche darzulegen. Doch fehlt es, trotz vieler theologischer Auseinandersetzung mit Umweltthemen, an der Systematisierung dieser Textbestände. Dies erschwert die ohnehin schon problematische Frage nach einer islamischen Umweltethik. Nicht nur, weil es die islamische Umweltethik oder -theorie angesichts muslimischer Heterogenität (gerade im hiesigen Kontext) nicht geben kann. Mehr noch, weil bereits die Zuordnung islamisch herausfordernd sein kann: Denn während sich in Kontexten, in denen Muslim*innen sich als marginalisierte Gruppe begreifen, zunehmende Diskurse zur (explizit) islamischen Umweltethik finden lassen, finden sich in der islamischen Welt kaum umweltethische Diskurse, die sich explizit als islamisch ausweisen [2].

Denn:

„Dass die ethische Fundierung dieses angestrebten Umweltschutzes aus den normativen Grundgehalten des Islam herzuleiten ist, ob traditionell verankert oder bewusst reflektiert, ist für Menschen in der islamischen Welt unmittelbar, sie brauchen ihn gemeinhin nicht zusätzlich explizit als ‚islamischen‘ zu deklarieren“ [3].

Auf der Suche nach der islamischen Umweltethik

Sich folglich auf die Suche nach einer islamischen Umweltethik zu begeben, ist insofern herausfordernd, als dass – wenn hier der Blick auf die islamische Welt gerichtet wird – erst gar nicht von der islamischen Umweltethik die Rede ist, sondern ohne Zuordnung zum islamischen lediglich vom Schutz der Natur. Dabei wird zumeist die islamische Schöpfungslehre implizit mitgedacht und damit eine Verortung von Schöpfer, Geschöpf und Mensch als Geschöpf besonderer Art mitberücksichtigt und in verantwortungsethischer Deutung geprägt. Eine (einzige) Suche nach Umwelttheorien, die explizit islamisch gekennzeichnet sind, ist je nach Suchort folglich deshalb problematisch, da sie kaum Ergebnisse vorweisen kann – sie rührt aus dem aus „der europäischen Geisteskultur hervorgegangenen Verständnis […] ordnungstheoretischer Systematisierung“ [4]. Sollen folglich globale interdisziplinäre und damit auch interreligiöse Zugänge zur Umweltethik Berücksichtigung erfahren, müssen dieserart kulturell divergierende erkenntnistheoretische Ausgangspunkte in Hinblick auf die inhaltlichen Standpunkte vorab deutlich gemacht werden, um auszuschließen, dass vorhandene Diskurse und inhaltliche Überschneidungen fehlen und hierdurch gar negative Deutungen entstehen [5].

Wirft man einen erneuten, weltweiten Blick auf muslimische Umweltdiskurse, so haben diese eben gemein, dass sie sich insbesondere auf den bereits genannten, reichhaltigen Fundus an Textmaterialien – vorzugsweise dem 8. bis 13. Jahrhundert – beziehen. Hierbei greift man zurück auf verschiedene Binnendisziplinen islamischer Theologie: So auf die Koran- und Hadithwissenschaft, aber auch auf die islamische Philosophie und -Rechtswissenschaft als auch der islamischen Mystik. Dabei wird häufig die Tatsache betont, dass die Umsetzung dieser Wissensbestände ohne Weiteres zu einem gesunden, nachhaltigen Umgang mit Umwelt führen müsse – entsprechend obläge es der muslimischen Gemeinschaft, sich ihrer eigenen Traditionen bewusst zu werden, um vom Wissen zum Handeln zu gelangen. Dem schließt sich auch Seyyed Hossein Nasr, einer der prominentesten muslimischen Denker und Philosophen, an, der den muslimischen Umweltdiskurs bereits in den 70er Jahren nachhaltig prägte, und die Umweltkrise als spirituelle Krise bezeichnet [6]. Das Wissen um Umweltschutz und damit einhergehend um umweltethische, islamisch-theologische Perspektiven sei gegeben, doch fehle es an der Umsetzung des Wissens in die Handlung. Dies hänge nicht nur mit der fehlenden Respiritualisierung von Mensch und Umwelt zusammen, sondern – so findet es sich ebenfalls bei Nasr und vielen weiteren – an wirtschaftlichen und soziologisch bedingten Herausforderungen, vor denen die muslimischen Gemeinschaften stünden. Nicht selten werden daher Umweltdiskurse insbesondere mit Gerechtigkeits- und Wirtschaftsdiskursen zusammengedacht. Was jedoch eigentlich in besonderem Maße fehlt, ist eine ganzheitliche Perspektive auf „Umwelt und Islam“. Hierfür müssten islamische Wissensbestände kategorisiert und konzeptionalisiert werden. Das würde dabei verhelfen, dass im Diskurs um „Umwelt und Islam“ eine gemeinsame Sprache gefunden wird, um sich den Herausforderungen (insbesondere in Hinblick auf die Herausforderungen von muslimischen Realdiskursen vs. Idealdiskursen) anzunehmen. Dabei könnte man auch Wege benennen, um dem Intention-Action-Gap entgegenzuwirken. Dafür muss sich auch der fehlenden Selbstkritik eigener Traditionen angesichts der Herausforderungen der Islamischen Theologie der Jetztzeit zugewandt werden. Dazu gehört, sich mit den eigenen zentralen (und vermeintlichen) Glaubenssätzen auseinanderzusetzen: Welche Rolle spielen anthropozentrische (bzw. androzentrische) Lesearten des Korans für heutige islamische Anthropologien? Welchen Wert gilt es dem Menschen beizumessen – und den anderen Lebewesen?  Es bedarf hier folglich auch der Kritik dieser Lesearten innerhalb der eigenen Traditionen und damit auch der (Neu-)Formulierung einer islamisch-theologischen Anthropologie, die den Menschen gerade im Kontext dessen untersucht, was er nicht ist: dem Nicht-Menschlichen. Hierfür bedarf es zunächst einer Replatzierung des Menschen aus dem Zentrum, in dem er sich positionierte, hin zunächst zu einem Ort, an welchem er sich gerade in Hinblick auf die Semantik Schöpfer–Schöpfung in zweitere Gruppe einzuordnen braucht. Die Gemeinsamkeit der Schöpfung in Hinblick auf ihre Gottesursprünglichkeit wäre dann die Perspektive, die es (zunächst) einzunehmen gelte.

Den Menschen in Relation zu allen Lebewesen denken

Sich einzig für die ‚Bewahrung der Schöpfung‘ unter Rückgriff von Wissensbeständen der Vergangenheit einzusetzen, wäre damit unzureichend. Vielmehr gilt es, den Menschen (ontologisch) als Mit-Seiendes Lebewesen zu begreifen, das in absoluter Abhängigkeit mit und von anderen Entitäten agiert und sich in diesem Schöpfungshaus zu verorten hat. Dies würde bedeuten, dass nicht nur interessengeleitet jene islamischen Wissensbestände reproduziert werden, die sich für die Begründung islamisch-ethischer Implikationen formulieren lassen. Vielmehr bedarf es eines problemorientierten Zugangs – eines Zugangs, der sich jenen Leerstellen annimmt, die sowohl in Fremd- und Selbstkritik die Herausforderungen annehmen, die eine positive umweltethische Deutung von eigenen Traditionen verhindern. Es müssen dabei aber auch inklusive Zugänge ermöglicht werden, wozu die Berücksichtigung von hegemonialen Machtdiskursen und Herrschaftsansprüchen in diesen Diskursen gehört – dies, um sich auch der Folgen dualistischer Ansätze im eigenen Denken anzunehmen (Mensch–Tier, Mann–Frau, Schwarz-Weiß etc.). Auf diese Weise kann auch der Islam bzw. seine Theologie bei der gesamtgesellschaftlichen Herausforderung des Umweltthemas einen wichtigen Platz einnehmen: Dann, wenn sich Islam (hier: Islamische Theologie) für eine internationale Zusammenarbeit öffnen, und auf der anderen Seite auch interdisziplinäre Zugänge im Kampf gegen den Klimawandeln angenommen werden, kann eine globale Lösungsfindung angegangen werden.

Literaturverweise:

[1] Einen Überblick über die Anfänge der Auseinandersetzung mit Umweltschutz (insbesondere im globalen Norden) findet sich bei: Zbidi, Monika: Aufruf zum Öko-Dschihad. Die islamische Umweltbewegung. In: Art&Thought / Fikrun Wa Fann 99 (2013), 3–6 und ders., Islamische Normenlehre zum Umweltschutz. In: ZUR 6 (2015), 323–330. Siehe auch: Kowanda-Yassin, Ursula: Öko-Dschihad. Der gründe Islam – Beginn einer globalen Umweltbewegung, Wien 2018.

[2] Wobei zu sagen ist, dass in den letzten zehn Jahren zunehmend umweltethische Debatten in akademischen Kontexten ihre Arbeiten als islamische Zugänge ausweisen. 

[3] Dziri, Amir: „Wir haben euch die Erde als Erbe überlassen“ – zwischen Verantwortung und Nutznieß. Der islamische Begriff des Kalif-Seins in umweltethischer Hinsicht. In: Islamische Umwelttheologie. Ethik, Norm und Praxis. Hg. Sara Binay, Mouhanad Khorchide. Freiburg 2019. S. 51–67, hier: S. 51.

[4] Ebd.

[5] Vgl. hierzu erneut: Ebd., S. 52.

[6] Nasr, Seyyed Hossein: Man and Nature: The Spiritual Crisis of Modern Man, London 1976, S. 13ff.

Über die Autorin:

Dr. Asmaa El Maaroufi ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Islamische Theologie Münster im Arbeitsbereich für Kalam, Islamische Philosophie und Mystik der Universität Münster.  

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1 Kommentar

[…] Daneben zeigte sich bei einigen Akteuren im Dialog auch eine Unkenntnis gegenüber nicht-christlichen Werten. Während christliche klimapolitische Motive bei den Teilnehmer*innen bekannt schienen, wurde etwa das muslimische Motiv eines Öko-Jihads verwundert aufgenommen. In diesem Zusammenhang war nämlich nicht bekannt, dass das Wort Jihad auch mit einer positiven Konnotation verwendet werden kann. (Wenn ihr noch mehr zum Thema Islam und Umweltethik lesen möchtet, empfehle ich euch diesen Beitrag: http://nach-haltig-gedacht.de/2021/11/16/zu-den-herausforderungen-islamischer-umweltethik/) […]