Die Rechte der Natur ins Grundgesetz

Karina Czupor

Auf dem Weg zu einem Miteinander für Mensch und Natur 

Dieser Artikel wurde von Karina Czupor, Vorstand im Netzwerk Rechte der Natur e.V. verfasst (für nähere Infos s. Autorinneninformation). Das Netzwerk richtet gemeinsam mit dem ZIN, dem Institut für theologische Zoologie und der katholischen Akademie Franz Hitze Haus am 1./2. Februar 2024 die Tagung „Rechte der Natur ins Grundgesetz“ in der Akademie Franz Hitze Haus aus. In dem Beitrag stehen Ideen im Fokus, die zentrale Inhalte der Veranstaltung darstellen. Alle Interessierten sind herzlich dazu eingeladen, an der Tagung teilzunehmen und die Rechte der Natur weiterzuentwickeln!

Die Wahrnehmung der Natur

In der westlichen Kultur hat sich eine tiefe Entfremdung von der Natur herausgebildet. In der vorherrschenden Sicht auf die Welt gibt es Subjekte und Objekte. Der Mensch ist ein Subjekt; die gesamte natürliche Mitwelt besteht aus Objekten, die losgelöst von den Subjekten bestehen. Die Objekte können von den Subjekten benutzt werden. 

Die Wahrnehmung der Natur als ein zu beherrschendes Objekt ist der Kern des Anthropozäns. Der Mensch scheint sich in dieser Weltsicht außerhalb der natürlichen Kreisläufe zu befinden. Die Natur wird als Ressource gesehen, die dem Menschen zusteht und ausgebeutet werden kann. Untergang von Ökosystemen, Artensterben und Erderhitzung sind die Folgen. 

Wissenschaftliche Erkenntnisse offenbaren jeden Tag mehr von der immensen Verflochtenheit der Welt und allen Lebens. Es gibt nichts, was nicht verbunden wäre und alles ist in Bewegung. Dies reicht von der Symbiose zwischen zwei winzigen Lebewesen wie einer Alge und einem Pilz bis zum Kreislauf des Kohlenstoffs durch Boden, Gesteine, Ozeane, Lebewesen und Atmosphäre.  

In der Vergangenheit hat es immer wieder Gegenbewegungen und Epochen wie die Romantik gegeben, die nach einem anderen Blick auf die Welt suchten. Heute gibt es in der Philosophie, Religion und der gesamten Gesellschaft viele Bestrebungen, das Verhältnis Mensch und Natur neu zu denken. Es zeigt sich jedoch, dass rein auffordernde Ansätze nicht die erhoffte Wirkung entfalten.  

Die Sicht auf die Natur als ein Objekt ist jedoch nicht zwangsläufig Teil des Menschseins. Viele indigene Völker erkennen, dass alles Leben miteinander verflochten ist. Der Mensch wird hier als Teil der Natur gesehen; er ist Natur und mit allen anderen Lebewesen verbunden. Die natürliche Mitwelt ist beseelt und besteht ebenfalls aus Subjekten, die mit Dank und Respekt behandelt werden. Alles was genommen wird, muss auch zurückgegeben werden (vgl. Kimmerer, 2013; Weber 2019). Die Welt als ein komplexes wechselseitiges Beziehungsgeflecht – diese Sichtweise entspricht in vieler Hinsicht dem Stand der heutigen wissenschaftlichen Erkenntnis.  

Andere Sichtweisen auf die Natur anzuerkennen und von ihnen zu lernen, könnte Teil eines Veränderungsprozesses sein.  Es ist zudem hilfreich, sich vor Augen zu führen, dass die Welt kein statisches Gebilde ist, sondern bereits in der Vergangenheit große gesellschaftliche Veränderungen stattgefunden haben, die man zuvor vehement ablehnte oder nicht für möglich gehalten hat. Und warum sollte ausgerechnet die heutige Gesellschaft ein Optimum darstellen und sich nicht weiterentwickeln?   

Die Rechte der Natur

Das Deutsche Grundgesetz ist das rechtliche Fundament der Gesellschaft. Es regelt, wie die Menschen miteinander leben wollen. Grundgesetz und Gesellschaft stehen dabei in einer Wechselwirkung. Das Grundgesetz passt sich der geänderten gesellschaftlichen Erkenntnis an und prägt diese wiederum. 

Das heutige Grundgesetz und die Rechtsprechung spiegeln eine anthropozentrische Weltanschauung wieder: Der Mensch (griechisch: anthropos) steht im Zentrum – um ihn kreist alles, alles ist auf ihn bezogen. Tiere, Pflanzen, Flüsse oder Ökosysteme sind Objekte; es wird ihnen kein eigenes Existenzrecht zugesprochen. Auch die Verbundenheit allen Lebens wird nicht abgebildet. Der Mensch ist als Subjekt herausgehoben und Träger von Rechten.

Die Umweltschutzgesetze wurden zwar laufend verbessert, haben Artensterben und Klimawandel jedoch nicht aufhalten können; sie unterliegen demselben rechtlichen Grundgedanken. Trotz des Engagements von vielen Menschen in Naturschutzverbänden oder anderen Organisationen, privat oder auf politischen Ebenen, schreitet die Zerstörung voran.

Hier setzt nun die weltweite Bewegung für die Rechte der Natur an. Sie fordert, die subjektiven Eigenrechte der Natur anzuerkennen und in die jeweiligen Verfassungen aufzunehmen. Der Natur und allem, was zu ihr gehört soll im Grundgesetz das Recht zugesprochen werden, zu existieren und sich weiterentwickeln zu können (vgl. Kersten 2022).

Nicht nur der Mensch sondern auch die Natur (Ökosysteme, Gewässer, Arten) hat dann das  Recht zu leben und dieses Recht kann im Konfliktfall auf Augenhöhe eingeklagt und verteidigt werden. Dies führt zu einer neuen Abwägung von Rechtsgütern. Ein weiterer Effekt wäre, dass jede/r Bürger*in und/oder Verbände als Treuhänder*in für die Natur deren Rechte vor Gericht einfordern können. Die vorgeschlagene Grundgesetzänderung würde die bisherige Schieflage zulasten der Natur beseitigen.

Die Einführung von subjektiven Eigenrechten der Natur ist möglich! Neben Menschen als „Natürliche Personen“ wurden in der Vergangenheit bereits „Juristische Personen“ als Rechtssubjekte anerkannt, z.B. Kapital- und Personengesellschaften. Damit sind ökonomische Interessen und Eigentumsrechte  im Grundgesetz geschützt. Ihre Rechte können von den Rechtssubjekten oder deren Vertreter*innen  eingeklagt werden. Die Natur dagegen ist keine Rechtsperson. Über sie wird als Objekt verhandelt. 

Als erstes Land der Welt nahm Ecuador die Rechte der Natur in die Verfassung auf. Auf dieser Grundlage entschied das Verfassungsgericht im Dezember 2021 in einem tiefgreifenden Urteil, dass im Naturschutzgebiet Los Cedros kein Bergbau oder andere Extraktion stattfinden darf. In zahlreichen weiteren Ländern wurden die Rechte der Natur auf regionaler Ebene verankert. Am 21. September 2022 wurde der Salzwasser-Lagune Mar Menor in Spanien als erstem Ökosystem Europas der Rechtsstatus einer Person verliehen.

Die Zivilgesellschaft

Große gesellschaftliche Veränderungen wurden und werden von der Zivilgesellschaft vorangebracht. Dies gilt für Lateinamerika und so ist es auch in Europa. In Spanien haben sich 640.000 Menschen für die Eigenrechte des Mar Menor eingesetzt und europäische Rechtsgeschichte geschrieben (vgl. Vicente 2023)!

Die Diskussion über Rechte der Natur ist auch in Deutschland angekommen. Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht in Zeitungen, Rundfunk, Fernsehen oder Buch-veröffentlichungen hierüber berichtet wird (s. bspw. hier: https://www.arte.tv/de/videos/104841-009-A/koennen-robben-vor-gericht-ziehen/ oder https://www.spektrum.de/news/rechte-der-natur-wenn-ein-fluss-vor-gericht-zieht/2189244 oder https://www.deutschlandfunkkultur.de/der-mensch-und-seine-mitwelt-100.html)

Eine wachsende Zahl von Wissenschaftler*innen beschäftigt sich mit den Rechten der Natur. 

Noch scheint der Weg zur Grundgesetzänderung weit zu sein. Doch schon der Weg ist wertvoll, denn die Diskussion über die Rechte der Natur berührt individuelle und gesellschaftliche Wertvorstellungen über die Rolle des Menschen in der Natur und kann dazu beitragen die anthropozentrische Weltsicht überhaupt erst wahrzunehmen und zu überwinden.   


Autorinneninformation

Karina Czupor ist Vorstand im Netzwerk Rechte der Natur e.V., in dem sich Expert*innen und Bürger*innen versammelt haben (www.Rechte-der-Natur.de). Das Netzwerk betreibt Öffentlichkeitsarbeit, steht in Kontakt mit vielen anderen Organisationen und Expert*innen, baut Brücken in die Zivilgesellschaft, in die Medien und die Politik und setzt sich aktiv für die Rechte der Natur ein.


Zum Nachlesen

Adloff, Frank / Busse, Tanja (2021). Welche Rechte braucht die Natur? Frankfurt/New York,  Campus Verlag.

Kersten, Jens (2022). Das ökologische Grundgesetz. München, C.H. Beck.

Burgers, Laura / Den Outer, Jessica (2023). DAS MEER KLAGT AN! DER KAMPF FÜR DIE RECHTE DER NATUR. Stuttgart, S. Hirzel Verlag.

Wesche, Tilo (2023). Die Rechte der Natur – vom nachhaltigen Eigentum. Berlin, Suhrkamp.

European Economic and Social Committee (2020). Towards an EU Charter of the Fundamental Rights of Nature. Study. Online verfügbar unter: https://www.eesc.europa.eu/en/our-work/publications-other-work/publications/towards-eu-charter-fundamental-rights-nature.

Kimmerer, Robin Wall (2013). Braiding Sweetgrass – Indigenous Wisdom, Scientific Knowledge, and the Teaching of Plants. Minneapolis, Milkweed Editions.

Abram, David (1997). The Spell of the Sensuous: PERCEPTION AND LANGUAGE IN A MORE-THAN-HUMAN WORLD. New York City, Vintage Books.

Weber, Andreas (2019, 3. Aufl.). Indigenialität. Berlin, Nicolai Publishing & Intelligence.

Graeber, David / Wengrow, David (2022). Anfänge – EINE NEUE GESCHICHTE DER MENSCHHEIT.Stuttgart, Klett-Cotta.

Kröger, Sarah (2023). „Die Rechte der Natur sind Realität geworden“. Teresa Vicente Interview: Die Natur hat ein Recht auf Leben (bachrauf.org, https://bachrauf.org/teresa-vicente-interview-natur-personenstatus/ (abgerufen am 28.10.2023).