Wir werden alle Kompost – Über den Reiz des kollektiven Rottens

Severin Halder

Münster wächst, blüht und verrottet: Historische Bilder zeigen den Schlossplatz im Spätsommer 1944 als abgeerntetes Roggenfeld und machen uns die Bedeutung urbaner Landwirtschaft in Krisenzeiten deutlich. Über ein halbes Jahrhundert später wiederum leistet der Münsteraner Künstler Wilm Weppelmann mit seiner Freien Gartenakademie Pionierarbeit für das Revival der Kleingärten. Und seit 2022 findet nun in Münster das weltweit erste Kompost Festival statt und lädt auf kreative Art und Weise ein, gemeinsam mit verschieden Akteure regenerative und symbiotische Mensch-Umwelt Kreislaufprozesse verstehen zu lernen und selbst anzustoßen.

Die Idee zur gemeinschaftlichen Beschäftigung mit Kompost als eine sozial-ökologische Antwort auf die multiplen Krisen im Anthropozän entsteht aus meinen Forschungsarbeiten im Überschneidungsbereich von politischer (Agrar)Ökologie, partizipativer Aktionsforschung, kritischer Stadtgeographie und künstlerischer Forschung. Basis meiner Beschäftigung mit Fragen der Stadtökologie sind die Hinterhofgärten der Favelas in Rio de Janeiro, die urbanen Felder von Maputo und die Berliner Gemeinschaftsgärten gleichermaßen.  All diese Orte haben gemeinsam, dass sie Ausgangspunkt für gesellschaftliche und ökologische Veränderungen einer städtisch geprägten Welt sein können, in der Natur und Gesellschaft gerade in vielerlei Hinsicht durch Krisen betroffen sind. Der Fokus meiner partizipativen Untersuchungen bestand nie nur darin, andere Menschen zu beobachten und zu analysieren, sondern – ganz im Sinne des Wortes „partizipativ“ –  im Dialog mit ihnen aktiv zu werden und unsere Aktivitäten gemeinsam kritisch zu reflektieren (http://dreckigehaende.de/). Das bedeutet ganz konkret: urbane Gärten entstehen zu lassen, Gartenkarten zu zeichnen, Stadtnatur-Netzwerke zu knüpfen oder im Rahmen eines gemeinsamen Schreibprozesses ein Urban Gardening Manifest „Die Stadt ist unser Garten“ zu verfassen. In Deutschland sind in den vergangenen 20 Jahren ca. 1000 Gemeinschaftsgärten und interkulturelle Gärten entstanden (Baier, Müller, Werner 2024). In Münster gehören dazu unter anderem der Campusgarten Grünen Beete, der Studentische Garten des AstA, das GeoUrbanum, das aus dem Hansa Forum entstandene Gartenprojekt Blatt Beton und ein intergenerationales Gartenprojekt der Diakonie. Diese Gärten sind nicht nur Orte mit stadtökologischer Bedeutung, sondern auch Orte der Umweltbildung, der Kultur und Selbstversorgung, Räume der nachbarschaftlichen Selbstorganisation und des interkulturellen Zusammenlebens. Und somit eben zweifelsohne Orte der Hoffnung, die einladen, gemeinsam Antworten zu suchen auf die sozial-ökologischen Krisen der Gegenwart, wie die bisher wenig präsente Bodenkrise. Mehr als die Hälfte der Böden weltweit sind inzwischen so ausgelaugt, dass sie sich nicht mehr aus eigener Kraft erholen können. Die Antwort aus den Gärten lautet: Kompostieren!

Kompost (lat. Compostium) beschreibt eine Zusammenstellung, eine Komposition aus Wärme, Wasser, Würmern, Luft und Biomüll, oder eben einen organischen Kreislauf, bei dem aus toter Materie neues Leben entsteht. Kompost ist das Beispiel einer symbiotischen und fürsorglichen Mensch-Umwelt-Beziehung. Kompost ist die Kunst der lebendigen Transformation. Wir widmen uns daher im StadtLabor Münster dem Kompostieren praktisch gärtnernd wie auch konzeptionell mit einem Schwerpunkt auf innovativer, visueller und kreativer Wissenschaftskommunikation. Der Kompost als Objekt, Praxis und Metapher dient uns dabei als hervorragende Plattform und bodenständige Brücke des Dialogs. Er lädt ein, konkrete Fragen lebendiger Regeneration und symbiotische Wege der sozial-ökologischen Transformation zu erkunden. So haben wir aus dem StadtLabor heraus im Dialog mit verschiedenen Partner*innen wie dem ZIN, der fairTEiLBAR, dem Hansa Forum, dem Campusgarten Grüne Beete, der AWM und der Kita Zwergenwiese begonnen das Projekt Kompost Zone zu entwickeln und umzusetzen. Das Projekt ist 2022 mit der 9-tägigen Veranstaltungsreihe „Das Kompost-Festival“ gestartet und 2023 ging das Festival in die zweite Runde. Das Festival wie auch die Kompost Zone im Allgemeinen widmet sich Mensch-Umwelt-Beziehungen tiefgründig, praktisch und kreativ. Im Zwischenraum von Wissenschaft, Zivilgesellschaft, Kunst und stadtökologischer Praxis erkunden wir gemeinsam Fragen lebendiger Regeneration und sozio-ökologischer Transformation. Das Festival bildet dabei eine öffentliche Bühne für partizipative Forschungsansätze, innovative Vermittlungsmethoden und kreativen Kommunikationsformate in Form eines Kreislauf Dinners in der VHS, einer stadtökologischen Filmwanderung über die Brachen Münsters, einer performativen Radtour durch die Schwammstadt der Zukunft oder eines Freiluftkinos zu Mensch-Pilz Beziehungen. 

Auch der Dokumentarfilm „Kompost sein“ ist im Rahmen der Kompost Zone in Zusammenarbeit mit dem kollektiv orangotango und der Filmwerkstatt Münster entstanden. Im Film führen unter anderem Prof. Dr. Matthew Gandy (University of Cambridge)Prof. Dr. Bodo Philipp und Dr. Yusif Idies (beide Wissenschaftler an der Universität Münster und Mitglieder im ZIN) wie auch die Medienkünstler*in Ella von der Haide einen transdisziplinären Kompost Dialog. Dank des Films konnten die grundlegenden philosophischen, mikrobiologischen und sozial-ökologischen Ideen der Kompost Zone einem breiten Publikum vermittelt werden. Seit seiner Premiere im Planetarium des LWL Naturkunde Museums im August 2022 ist der Film auf Tour und war u.a. schon im Rahmen des NaturVision Filmfestivals in Ludwigsburg, des TrashUp Festivals in Dortmund und dem Treffen für Ernährungssouveränität in Österreich zu sehen.

Menschen auf kreative und forschende Weise für Kompost zu begeistern und dabei ganz konkret im Dialog mit mehr-als-menschlichen Akteuren den organischen Anteil der Böden praktisch zu erhöhen ist eine zentrale Stellschraube um das Schicksal der Welten, die nach unserer kommen werden zu beeinflussen. Wir plädieren wir daher dafür, Kompostieren als existente landwirtschaftliche Praxis maximal wertzuschätzen und als realutopische Vision einer symbiotischen Mensch-Umwelt Beziehung zu vervielfältigen. Dafür begeben wir uns in der Kompost Zone gemeinsam auf eine Geo-Reise in unbekannte und bedrohte Unterwelten voller Leben und drängender Fragen zur Zukunft unseres Planeten: Die Rückkehr zur Erde als Antwort auf die Bodenkrise oder die Frage danach ob wir bereit sind uns langsam zu zersetzen?


Informationen zum Autor

Dr. Severin Halder ist Preisträger des Wissenschaftskommunikationspreis „wissen.kommuniziert“ ´23 und wissenschaftlicher Mitarbeiter am StadtLabor Münster. Das StadtLabor ist eine inter- und transdisziplinäre Transferinitiative des Fachbereich 14 und des Rektorats der Universität Münster. Es versteht sich explizit als Experimentierraum für innovative, kreative und transdisziplinäre Wissenskommunikation sowie transformatives Lernen und Lehren. Ziel ist es, im Rahmen von kollaborativen Projekten, partizipativer Forschung, Citizen Science und diskursiven Austauschformaten mit der Zivilgesellschaft in Dialog zu treten und gemeinsam zur Lösung von Herausforderungen beizutragen. Es experimentiert mit ko-kreativen Lernformen, die geeignet sind, soziale und ökologische, Verhältnisse nicht nur zu verstehen, erklären und kritisieren, sondern sie im Sinne eines eingreifenden Denkens auch zu gestalten. 


Zum Nachlesen

Aktuelles aus der Kompost Zone: https://www.instagram.com/kompost.zone/

Infos zum Projekt: https://kompost.zone/