Landwirtschaftlicher Wissensaustausch zwischen Transformation und Stagnation? Eine persönliche Zwischenbilanz nach vier Jahren.

Thomas Middelanis

Diesen Blogeintrag schreibe ich anlässlich der Verleihung des wissen.kommuniziert-Preises am 22. November 2023. Die Universitätsgesellschaft Münster verlieh Julia Binder und mir den 2. Preis für die Kommunikationsleistungen zwischen Universität und Öffentlichkeit. Den Grundstein unserer Bemühungen für Wissenskommunikation haben wir vor vier Jahren „landwirtschaftlicher Wissensaustausch“ getauft. Was hat es damit auf sich und wie passt dies zu nachhaltiger Transformation“?

Als angehende Masterstudierende der Landschaftsökologie haben Julia Binder, sechs Kommiliton*innen und ich 2019 die Initiative für Landwirtschaftlichen WissensAustausch (kurz: ILWA) gegründet. Wir wollten die Perspektive von Landwirt*innen besser verstehen, da doch über die Hälfte der deutschen Landesfläche landwirtschaftlich genutzt wird und sich der Großteil der politischen Forderungen aus der Ökologie direkt und indirekt auf die Landwirtschaft auswirkt (s. bspw. hier ). Der Wunsch nach einer aufrichtigen Kommunikation mit – und nicht über – Landwirtschaft entfesselte viele Entwicklungen. Ich blicke zurück auf vier unterschiedliche Ergebnisse des Austauschs zwischen Naturschutz und Landwirtschaft.

Reden

Mit einer gewissen Selbstironie fragten wir uns zu Beginn, welche Position wir städtischen Studierenden in den Debatten über Nachhaltigkeit im ländlichen Raum haben: „Was wächst da eigentlich auf der riesigen Fläche hinter dem Blühstreifen?“. Wir organisierten über mehrere Jahre Themenabende oder -tage, bei denen gerade die Meinungen von Menschen willkommen waren, die sonst selten das Institut für Landschaftsökologie betreten. Was bedeutet „Nachhaltigkeit“ für konventionelle Landwirt*innen, Gentechnik-Befürworter*innen, Agrar-Lobbyist*innen oder Dozierende der Agrarwissenschaften? Was antworten sie auf meine Argumente und von welchen Perspektiven werde ich heute Abend überrascht? Viele Faktenchecks und Anschlussdiskussionen später beschlossen Julia und ich, dass wir bereit für etwas Neues waren. Der landwirtschaftliche Wissensaustausch führte, so reizvoll die Debatten auch waren, oft „nur“ zu einem Ergebnis: Alle Beteiligten waren darin bestärkt, dass sie doch nicht so unterschiedlich seien und dass eine Zusammenarbeit zwischen Naturschutz und Landwirtschaft wichtig wäre. Diese Verständigung ließe sich natürlich als ein Erfolg der Wissenskommunikation begreifen. Gleichzeitig durchzog die Erzählung vom Wert des Austauschs aber wie eine Sicherheitsleine unsere Veranstaltungen. Die Teilnehmenden konnten sich daran einhaken, zurücklehnen und baumeln lassen. Die mühevolle Suche nach Lösungen verliert sich trotz aller Maßnahmen manchmal im Wissensaustausch selbst und mehr Wissen schafft noch keine Nachhaltigkeit.

Machen

Unser nächster Ansatz der Wissenskommunikation hieß „agroforst-monitoring“ und erfüllte uns den Wunsch, ein zugleich landwirtschaftliches und ökologisches Projekt gestalten zu können. Mit über einhundert Bürgerwissenschaftler*innen erforschen wir heute auf vielen Betrieben über Deutschland verteilt Pflanzungen von Baumreihen auf Äckern, kurz Agroforstsysteme. Können sie die Nachhaltigkeit von Agrarlandschaften erhöhen? Ja, aber der Kontext ist sehr entscheidend und deshalb bereitet es uns solche Freude, mit vielen ganz unterschiedlichen Menschen zu forschen und „ins Gespräch zu kommen“. Da ist er wieder: der landwirtschaftliche Wissensaustausch. Immer wieder fühle ich mich in Traktorkabinen oder bei Besichtigungen neuer potenzieller Forschungsstandorte in unseren Hörsaal versetzt. Ich stelle fest: es geht gar nicht ohne den Wissensaustausch. Wir müssen einander zuhören, uns auf das Gemeinsame verständigen und Konflikte auch mal durchdiskutieren, wenn wir Agrarlandschaften mitgestalten möchten. Die Wissenskommunikation hat hier häufig einen wichtigen gemeinsamen Nenner: Das Projekt, Agroforstwirtschaft besser zu verstehen, verbindet Landwirt*innen (ob ökologisch oder konventionell), Wissenschaftler*innen (ob sozial- oder naturwissenschaftlich) und die Nachbarschaft (ob jung oder alt) vor Ort. Selbst wenn wir in Bezug auf Essgewohnheiten, Umweltschutzpolitik oder Geschlechterrollen nicht immer einer Meinung sind, wir haben etwas, das wir gemeinsam schaffen möchten und deshalb hören wir uns auch zu. Mein Ergebnis: Nachhaltige Transformation braucht einen gemeinsamen Nenner unter den beteiligten Akteur*innen – Wissenskommunikation als Selbstzweck reicht wohl nicht aus, aber die Erfahrung von gemeinsamen Aktionen manchmal schon.

Erfolge feiern

Welche Erfolge der Nachhaltigkeit können wir verzeichnen? Gemeinsam wurden sehr viele Bäume gepflanzt, ausgeräumte Agrarlandschaften wieder ein Stück weit durch Gehölzstrukturen aufgewertet. Wir begleiten Betriebe bei einer tiefgehenden Veränderung ihres Wirtschaftens. Das Interesse von Politik und Presse wächst stark und dem Deutschen Fachverband für Agroforstwirtschaft ist es gelungen das Agrarrecht zu verbessern. Mit diesem konkreten Thema konnten wir unzählige Menschen in den landwirtschaftlichen Wissensaustausch einladen (und für die Kleinen schrieben wir ein Kinderbuch). Mittlerweile gibt es neben Julia und mir fünf weitere Studierende die sich als Hilfskräfte der Universität für die Erforschung der Agroforstwirtschaft einsetzen. Schrittweise können wir immer genauer ökologische Unterschiede zwischen verschiedenen Agroforstsystemen belegen und auf den entscheidenden Einfluss des Managements hinweisen. Dabei werden wir von über zehn verschiedenen Fördermittelgebern finanziert und inhaltlich sowie administrativ von der Universität Münster und dem Personal des Instituts für Landschaftsökologie unterstützt. Die Verleihung des „wissen.kommuniziert“-Preises ist für uns die fünfte Auszeichnung in diesen vier Jahren. All das sind tolle Gründe, um zu feiern und für mich dieses Ergebnis festzuhalten: Das meiste, was die Einzelnen dankenswerterweise in den Wissensaustausch einbringen, kommt früher oder später zu einem Vielfachen zurück. Nachhaltige Transformationen rückten für uns viel näher, nachdem wir angefangen hatten zu handeln.

Sich besinnen

Unser Masterstudium der Landschaftsökologie haben Julia und ich nach vier ereignisreichen Jahren abgeschlossen. Meine Position im landwirtschaftlichen Wissensaustausch bleibt für mich mit Fragen verbunden. In unzähligen zurückliegenden Gesprächen wusste ich, dass mein Gegenüber in dem spezifischen Thema erfahrener und oft besser informiert war. Für mich wurde es zur wichtigsten Disziplin im landwirtschaftlichen Wissensaustausch, zuzuhören und die richtigen Fragen zu stellen. Das Eintauchen in andere Realitäten, die oft auf dem Land sehr weit von unserer städtischen Wahrnehmung entfernt sind, lässt mich auch häufig meine eigene Rolle als Wissenschaftler der Ökologie hinterfragen. Gegenüber der Zusammenarbeit mit großen Agrar-Konzernen oder zu aktuellen Themen wie der Glyphosatzulassung hatte ich noch vor wenigen Jahren eine strikt ablehnende Haltung. Erfahrungen und nicht zuletzt Argumente, die mir zuvor nicht bekannt waren, werfen darauf ein anderes Licht und mir stellt sich die Frage: Mit welchen Bewertungskriterien kommen wir zu einem Ergebnis und wie konsistent wenden wir diese Kriterien an? Vielleicht ist dies mein zentrales Ergebnis des landwirtschaftlichen Wissensaustausch: Meine Fragen werden mehr, nicht weniger. Nach den langen Forschungsaufenthalten in den Agroforstsystemen betrete ich wieder das Institut für Landschaftsökologie und freue mich, dass es dort auch heute Generationen von Studierenden gibt, die ILWA in Form von Vortragsreihen weiterführen. Ja, mehr Wissen schafft noch keine Nachhaltigkeit. Aber es geht auch nicht ohne den Wissensaustausch.

Ich danke allen, die sich unvoreingenommen auf den Austausch eingelassen haben und sich nach manch hitziger Diskussion dennoch lachend die Hände schütteln konnten. Ich danke den vielen anderen Studierenden und der Universität Münster, die dem Wissensaustausch den geeigneten Raum geboten hat und last but not least: Danke, Julia, dass auch du dich für dieses große Abenteuer „landwirtschaftlicher Wissensaustausch“ entschieden hast.


Autoreninformation

Thomas Middelanis forscht am Institut für Landschaftsökologie (Universität Münster) zur sozial-ökologischen Transformation der Landwirtschaft hin zu einer Agroforstwirtschaft. „agroforst-monitoring“ heißt das Citizen Science-Netzwerk, in dem er mit einem Team von jungen Wissenschaftler*innen und vielen Bürgerwissenschaftler*innen die Wirkungen von Gehölzen auf Äckern deutschlandweit erforscht.